Evangelikale Anzeige in Göttinger Stadtmagazin – Stellungnahme des Verlags

Vor ein paar Tagen habe ich berichtet, dass ich im Göttinger Stadtmagazin „trends & fun“ eine doppelseitige Anzeige für eine evangelikale Gruppe Missionswerk Bruderhand entdeckt und meine Bedenken dazu äußerte, welches Licht dies auf das Magazin und den verantwortlichen Verlag Stein Medien wirft. Diese Anzeige wurde nicht nur in der April-Ausgabe des Stadtmagazins „trends & fun“ abgedruckt, man findet sie ebenfalls auf den Seiten 36 und 37 der Edition April 2013 des Göttinger Gesellschaftsmagazins CHARAKTER, das in demselben Verlag erscheint.

Für die folgenden Zeilen ist es ratsam, sich den betreffenden Blog-Eintrag noch einmal ins Gedächtnis zu rufen. Ich kündigte an, von den Verantwortlichen eine Stellungnahme einzuholen, was ich zunächst per Anruf tat: Ich kontaktierte den zuständigen Redakteur Herrn Ulrich Drees, der mir freundlich und bereitwillig Auskunft gab. Man sei sich redaktionsintern darüber bewusst, dass die Anzeige möglicherweise als problematisch aufgefasst würde, habe sich aber letztendlich aus presserechtlichen und wirtschaftlichen Gründen für eine Veröffentlichung entschieden. Man freue sich aber über meine Rückmeldung, schließlich wolle man wissen, welchen Eindruck das Magazin und seine Inhalte auf die Leser habe. Ich solle ihm eine Email mit dem Link zu meinem Blogartikel schreiben, meine Bitte nach einer Stellungnahme des Verlags zur Veröffentlichung in meinem Blog beinhaltend, wie es mein Wunsch war.
Dies tat ich mit folgendem Wortlaut:

„Sehr geehrter Herr Drees, wie soeben telefonisch besprochen, schicke ich Ihnen anbei den Link zu meinem Blog-Artikel, betreffend die „Bruderhand“-Anzeige in der aktuellen „trends & fun“ Ausgabe April 2013. Mittlerweile häufen sich die Abrufe des Artikels, es scheint also – neben den erwähnten gesammelten persönlichen Eindrücken – zunehmend Irritation über das Ganze zu herrschen. Daher würde ich gerne als Ergänzung und Erweiterung des Artikels eine Stellungnahme des Verlags auf meiner Seite veröffentlichen, damit die Leser Ihres Magazins diese Anzeige, die Aufmachung und die impliziten Billigungen der getätigten inhaltlichen Aussagen auch aus Ihrer Perspektive einordnen können. Falls Sie selbst dazu nicht die Zeit haben oder nicht der richtige Ansprechpartner sind, würde ich mich freuen, wenn Sie diese Email und den Link an eventuelle andere Verantwortliche weiterleiten könnten.“

Keine drei Stunden später erhielt ich eine Antwort von Herrn Lutz Stein, dem Leiter des Stein Medien Verlags. Offenbar hatte man mein Anliegen an die höchste verfügbare Stelle weitergeleitet. Er antwortete mir auf meine im Blog-Artikel aufgeworfenen Fragen wie folgt:

Sehr geehrter Herr Vennemann,
als unabhängiges Magazin sind wir zum Abdruck von Anzeigen verpflichtet, sofern diese nicht gegen gute Sitten oder geltendes Recht verstoßen und zudem als Anzeige erkenntlich sind. Persönlich denke ich zu diesem Thema, dass ein wenig Toleranz mit andersdenkenden Minderheiten dem Charakter eher zuträglich ist. Ein größeres moralisches Dilemma sehe ich darin, Anzeigen von Unternehmen abzudrucken, die nachweislich an den exotischsten Produktionsorten ihre Arbeitskräfte wie Sklaven behandeln. Trotz aller moralischen Bedenken – ablehnen kann ich solchen Anzeigen weder aus rechtlichen, noch aus wirtschaftlichen Gründen. Für Ihren sehr informativen Block wünsche ich Ihnen weiterhin viel Erfolg.

Viele Grüße,
Lutz Stein

Der erneute Verweis auf die rechtliche Verpflichtung, Anzeigen abzudrucken, machte mich neugierig. Am Abend sprach ich mit dem befreundeten Chefredakteur eines Stadtmagazins, bei dem ich einmal ein halbjähriges Praktikum im Rahmen meines Studiums absolvierte. Seine Einschätzung war klar: eine solche Verpflichtung gibt es nicht, oder nur unter bestimmten Voraussetzungen. Nachzulesen ist dies zu dem Thema „Anzeigenaufnahmepflicht“ unter anderem hier. Dementsprechend formulierte ich meine Antwort und Bitte um eine Präzisierung der Stellungnahme des Verlagsleiters:

Sehr geehrter Herr Stein,
vielen Dank für die bisherige Korrespondenz. Ich bin erfreut, dass Ihnen die Brisanz der Situation grundsätzlich bewusst ist, geriet aber beim Lesen Ihrer Stellungnahme des Öfteren ins Stutzen. Zum Thema „Toleranz gegenüber andersdenkenden Menschen“ muss ich Ihnen nichts weiter sagen, wenn Sie den ersten Absatz meines Artikels im Blog gelesen haben. Ich bin ein offener Mensch und ohne Vorurteile auf Evangelisten zugegangen und stieß dort auf große Intoleranz. Eine solche lässt sich auch in der Anzeige in Ihrem Magazin erkennen.

Sehr verwundert bin ich über Ihre Aussage, dass Sie solche Anzeigen weder aus rechtlichen, noch aus wirtschaftlichen Gründen ablehnen können. Zu diesem Thema habe ich den Chefredakteur eines Stadtmagazins, für das ich einmal längere Zeit gearbeitet habe und das über eine angeschlossene Werbeagentur verfügt, um eine Einschätzung der vorliegenden Situation gebeten.

Seine Ausführungen dazu bestätigten meine bisherige Annahme, ein Erzeugnis der freien Presse habe sehrwohl die Möglichkeit darüber zu bestimmen, welche Anzeigen angenommen und publiziert werden. Ihr Magazin verkauft Werbeplätze an Ihre Kunden bzw. die Kunden kommen auf Sie zu, um bei Ihnen zu werben. Es gibt dabei keinen Grund, bei bestimmten inhaltlichen Ausrichtungen von Unternehmen zu sagen, dass man kein Vertragsverhältnis eingehen möchte. Ihrer Aussage nach wären Ihnen dabei die Hände gebunden, was faktisch nicht so ist. Falls Sie es für bedenklicher halten, für im Ausland unter undurchsichtigen Bedingungen produzierende Unternehmen zu werben, als für religiöse Gemeinschaften, die christliche Werte zu Exklusionszwecken nutzen, ist das in meinen Augen eine höchst problematische Aussage.

Mein Kontakt gab nur eine Möglichkeit an, bei denen Ihnen nicht die Hoheit über die Veröffentlichung von Anzeigen gegeben ist: Das wäre der Fall, falls Sie Ihre Anzeigen über eine Agentur verkaufen und die Verträge mit dieser Agentur dahingehend gestaltet sind, alle Anzeigen, die auf diesem Weg verkauft werden, in jedem Fall abzudrucken sind, solange sie keine rechtlichen Verstöße beinhalten. Falls im vorliegenden Fall eine solche Situation zutreffend ist, würde ich mich über eine dahingehende Präzisierung Ihrer Stellungnahme sehr freuen. Auch – und dies mag ja ebenfalls der Fall sein – dass Sie aus wirtschaftlichen Gründen auf den Abdruck dieser Anzeige angewiesen waren, wüsste ich gerne von Ihrer Seite bestätigt. Mir geht es darum, den Grund herauszufinden, warum diese in meinen Augen bedenkliche Anzeige in dieser Form in einer Publikation wie der Ihren erscheinen kann oder muss – und warum trotz aller (auch von Ihnen erwähnten) moralischer Bedenken ein solcher Fall eingetreten ist.

Eine Antwort ließ nicht lange auf sich warten. Wieder antwortete mir Herr Lutz Stein persönlich:

Sehr geehrter Herr Vennemann,
sie sind ja beinahe genauso eifrig bei der Sache wie der Grund Ihres Anstoßes.
Hinsichtlich verpflichtender Anzeigenschaltungen sollten Sie jemanden fragen, der sich mit dem deutschen Presserecht auch wirklich auskennt. Ich empfehle Ihnen hierzu auf das Wissen einschlägiger Fachanwälte zurückzugreifen, insbesondere zur medienrechtlichen Abgrenzung des Themas Tendenzbetrieb und politische Positionierung und Weltanschauung. Ihren gut informierten Kontakt dürfen Sie gerne darüber informieren, dass es bei dem angeführten Beispiel der Anzeigenschaltungen via Agenturen nicht um Presserecht, sondern um Vertragsrecht geht.
Tolerant ist man meiner Meinung nach erst dann, wenn das Tolerieren einer anderen Meinung richtig weh tut und nicht etwa, wenn man über ein paar Kleinigkeiten verschiedener Meinung ist.
Man darf seinen Lesern im Übrigen auch genügend Vertrauen entgegenbringen, selbst über Sinn und Unsinn von Werbebotschaften zu urteilen.
Zum Abschluss meiner Beschäftigung mit diesem Thema möchte ich Sie ganz deutlich auf etwas hinweisen. Was Sie im Umgang mit den Inhalten der Bruderhandanzeige fordern, hat einen ganz klaren Namen: Zensur.

Mit freundlichen Grüßen,
Lutz Stein

Ich denke, diese Antwort spricht für sich selbst. Dass es im o.g. Fall um vertragsrechtliche Dinge ging, war mir durchaus bewusst. Der Verweis auf Fachanwälte für Presserecht ist in jedem Falle ein guter und wird von mir gegebenenfalls in Anspruch genommen werden. Mir wurde immer noch keine schlüssige Argumentation dafür vorlegt, warum ein Stadtmagazin dazu verpflichtet sein sollte, eine solche Anzeige zwangsweise veröffentlichen zu müssen. Die nicht vorhandene Bereitschaft, mir den Sachverhalt vernünftig darzulegen, mag jeder selbst für sich interpretieren. Gleiches gilt für die Aussagen über Toleranz, die sich nach meiner Auffassung inhaltlich selbst negieren.

Über die Ausrichtung seines Magazins CHARAKTER – ZEITGEIST liest man auf der Homepage des Verlages:

Regionalen Unternehmen, vom Bio-Bauern bis zum Hightech-Konzern, bieten wir somit eine ideale Plattform, um sich als verantwortungsvolle Partner auf unserem gemeinsamen Weg in die Zukunft zu positionieren – als Wirtschaftsbetriebe, die den Geist der Zeit erkannt haben und schon heute bereit sind für die Welt von morgen.

Evangelikale Gruppen können damit nicht gemeint sein. Sie gelten als äußerst konservativ und vertreten Werte wie das Züchtigen von Kindern mittels Prügeln, wie der NDR jüngst wieder berichtete. Wie passt das Missionswerk Bruderhand also ins Verlagsprofil?

Vielleicht ist aber auch die Verlagsleitung sehr froh über den geldträchtigen Werbekunden. Neben den Einkünften aus der Anzeige ist man vielleicht auch inhaltlich den in dem Werbetext geäußerten Ansichten nicht abgeneigt. Im Editorial der April-Ausgabe des Magazins CHARAKTER schreibt Lutz Stein zur Wahl des neuen Papstes Franziskus:

Ich wünsche dem alten Herrn von ganzem Herzen Erfolg, denn nur eine lebendige, die Gesellschaft positiv prägende Kirche ist ein helles Licht in der Dunkelheit der Anbetung materieller Götzen.

(Lutz Stein, CHARAKTER Edition April 2013, S.3 – Editorial)

Die Unsinnigkeit, die „Dunkelheit der Anbetung materieller Götzen“ in einem Magazin anzuprangern, das vor Werbeanzeigen und Promotionsartikeln nur so strotzt und das noch dazu im eigenen Verlag erscheint, scheint Herrn Stein nicht aufgefallen zu sein. Ein weiteres Faktum, das für sich spricht.

Scheinbar besteht von Seiten der Verlagsleitung kein weiterer Diskussionsbedarf mehr über die Situation. Schade. Es ging mir, wie der Leser dieses Eintrags bemerkt haben dürfte, nicht um Zensur. Mir geht es darum, ein Bewusstsein dafür zu schaffen, was in welchen Medien unter welchen Umständen veröffentlicht wird. Um zu meiner Frage, die ich im letzten Blogeintrag aufwarf, zurückzukehren: Es scheint in diesem Falle so, als habe sich der Stein Medien Verlag bewusst dafür entschieden, diese Anzeige anzunehmen und in der aufbereiteten Art in seinen April-Magazinen 2013 zu veröffentlichen. Trotz moralischer Bedenken. Trotz der dort inhaltlich vertretenen revisionistischen Ansichten evangelikaler Gruppen.

Ein bedenklicher Vorgang. Einer, über den man noch weiter reden sollte. Ich bitte darum!

Sascha Vennemann

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